Neuen Mut schenken

Eine friedvolle Waldszene, die Sonne scheint zwischen Bäumen hindurch.

In meinem Alltag habe ich es oft mit seelisch angeschlagenen Menschen zu tun. Menschen, die sich hoffnungslos und schwach fühlen und teilweise jeglichen Lebensmut verloren haben. Manchmal hilft es, sie im Gespräch zu einer Rückbesinnung auf ihr Leben zu bewegen. So habe ich es auch bei einer älteren Dame erlebt. Sie war schon über 80 Jahre alt und lag mit einem Oberschenkelhalsbruch auf der Station.

Die Frau fand es vom Schicksal unfair, dass ihr jetzt noch, „in ihrem Alter“, so etwas passieren musste und sie so lange Zeit ans Bett gefesselt sein würde. Ich hatte den Eindruck, dass sie gleichermaßen wütend und traurig war. Gleich bei unserer ersten Unterhaltung kam heraus, dass sie sich auch deshalb so kraftlos fühlte, weil ihre beiden Kinder im Ausland arbeiteten und sie deshalb nach dem Tod ihres Mannes ganz alleine und auf sich selbst gestellt war. Und trotzdem war es ihr gelungen, bis zum Tag ihres Sturzes ihren Alltag alleine zu organisieren.

In unseren vertraulichen Gesprächen versuchte ich ihr zu erläutern, wie stolz sie auf ihre Leistung in den vergangenen Jahren sein könne. Es schien ihr kaum bewusst zu sein, dass es ein enormer Kraftakt war, alleine und mit zunehmendem Alter alle Aufgaben, die das Leben ihr so stellte, immer wieder zu bewältigen. Gleichzeitig versuchte ich, sie wieder ein wenig zu ermutigen. Ich sagte ihr, dass jemand, der schon so viele Situationen im Leben gemeistert habe, sich auf seine innere Stärke verlassen könne und mit dieser auch einen Oberschenkelhalsbruch überstehen werde.

Daraufhin lächelte mich die alte Dame an und nickte versonnen mit dem Kopf. Dann fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu: „Und der da oben hat mich auch noch nie im Stich gelassen!“

Diesen Artikel verfasste:
Seelsorgerin
Judith Welbers
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